Strategien für den Ausbau der Infrastruktur für Schüttgut im Bahnsektor
Damit Schüttgut auf die Schiene kommt muss Entladeinfrastruktur für Waggons deutlich flexibler werden.
Individuelle Fördertechnik
Damit Schüttgut auf die Schiene kommt muss Entladeinfrastruktur für Waggons deutlich flexibler werden.
Obwohl es viele gute Gründe für den Schüttguttransport auf der Schiene gibt, fehlt es im gesamten Bahnstreckennetz derzeit an ausreichender Entladeinfrastruktur in Kundennähe. Dabei wären kostengünstige und kombinierbare Logistikangebote inklusive Speditionsdienstleistungen dringend erforderlich.
Die Transportleistung auf der Schiene soll bis 2030 insgesamt um fast 43 Prozent wachsen [1], wofür die DB Netz AG bundesweit zusätzliche Umschlagkapazität plant [2], allerdings im Wesentlichen für das Containerhandling und ohne größere Investitionen in die Infrastrukturen für Schüttgut. Erweiterungsinvestitionen in Umschlagplätze mit Schüttbunkern zur Entladung der Waggons kosten viel Geld und können aus Platzmangel auch nicht überall ungesetzt werden. Neue Lösungswege sind deshalb erforderlich.
Aktuelle Infrastruktur hat entscheidende Lücken
Das deutsche Gleisnetzumfasst derzeit mehr als 38.000 km, wovon die DB Netz AG als größter Netzbetreiber nahezu 99 % sein Eigen nennt [3]. Diese Bundesschienenwege können von allen Markteilnehmern befahren werden. Der Rest des Streckennetzes teilt sich im Vergleich dazu auf beachtliche 145 privaten Anbieter auf [4]. Rund 5.700 angeschlossene Bahnstationen wie Bahnhöfe, Haltestellen und Haltepunkte, von denen 5.400 der Deutschen Bahn AG gehören [5], dienen dem Reiseverkehr. Grundsätzlich böte sich also ausgezeichnete Möglichkeiten für den Schüttguttransport, wenn nicht zahlreiche dafür geeignete Umschlag- und Entladeplätze fehlen würden.
Umschlagplätze für Schüttgut sind rar
Die Zahl der Umschlagstationen für Container schätzt der VDV auf 800 bis 1.000, während es für Schüttgut nur rund 260 [6] gibt – das entspricht rund einer Station pro 148 Kilometer Schienennetz. Bahnstationen auf der Strecke finden sich hingegen in etwa alle 7 Kilometer. will man die Be- und Entladeplätze für Schüttgut nur zu verdoppeln, müsste an jedem zehnten Haltepunkt eine entsprechende Infrastruktur geschaffen werden. Investitionen in Schüttgutbunker sind jedoch investitionsintensiv. Aktuell ist nicht zu erwarten, dass hierfür ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, da ebenfalls dringend notwendige Ausgaben – wie die Instandsetzung maroder Schieneninfrastruktur oder die Digitalisierung – höher priorisiert sind. Ein weiterer Aspekt ist, dass klassische Annahmesümpfe ins Gleisbett integriert werden müssen und robuste Fördertechnik benötigen. Dafür sind auch entsprechender Flächen notwendig, die häufig nicht vorhanden sind. All das lässt eine zeitnahe Verdopplung der Umschlagplätze als unrealistisch erscheinen.
Deutlich mehr Entladestationen nötig
Um den Schüttguttransport auf der Schiene wirklich attraktiv zu machen, müsste die Umschlag-Infrastruktur der für Container gleichen. Die Logistikangebote müssten Kunden so simpel buchbar können, wie der kombinierte Transport mit Containern auf der Schiene und Speditionsdienstleistungen über die Straße. Die Gründe und Voraussetzungen, weshalb man sich für den kombinierten Ladungsverkehr – oder eben nur die Straße – entscheidet, sind bei Schüttgut und Stückgut sehr ähnlich. Es würde jedoch mindestens eine Vervierfachung der bestehenden Entladestationen benötigt, um Schüttgut wie Container umschlagen zu können. Nimmt man den geplanten Ausbau der Containerumschlagstationen hinzu – wäre die erforderliche Anzahl noch höher. Dieses Ziel zu erreichen wäre auch zum Schutz der Umwelt und zur Entlastung der Straßen enorm wichtig, denn deren Belastung durch schwerere Schüttguttransporte per LKW ist deutlich höher als beim klassischen Containertransport. Nimmt man als Beispielszenario eine UIC 571-1 Waggonladung mit 36 m³ Sand, dann wiegt diese bei einem Gewicht von 1.200 bis 1.600 Kilogramm pro Kubikmeter bereits zwischen 43,2 und 57,6 Tonnen. Da ein 5- oder 6-achsiger Sattelzug ein Gesamtgewicht von 44 Tonnen nicht überschreiten darf [7], werden entsprechend mindestens zwei solcher Fahrzeuge für den Transport von nur einer Waggonladung benötigt, was die überproportionale Belastung der Straße durch fehlende Schienenangebote für Schüttgut sehr deutlich macht.
Containerlösungen funktionieren nicht
Um mehr Schüttgut auf die Schiene zu bringen, sind also Alternativen gefragt, die weniger investitionsintensiv als die klassische Schüttgutumschlagstechnologie sind. Nur so können weitere Kapazitäten für mehr Schüttgut bei der Bahn geschaffen werden.
Neben Investitionen in potenzielle Gleisanschlüsse beim Versender, sind vor allem auch Lösungen für die „letzte Meile“ zum Endkunden wichtig. Transportmittel werden nämlich häufig danach ausgewählt, wie weit die am Gleisbett verfügbare Waggonentladung von der Lieferadresse des Kunden entfernt ist. Dabei gilt: Je größer die Distanz, desto eher werden für die gesamte Strecke ab Werk oder Umschlaghafen Lkw eingesetzt. Optimal wäre es, Schüttgutwaggons an jedem Streckenkilometer der Bahn entladen zu können und nicht wie derzeit nur durchschnittlich alle 148 Kilometer. Theoretisch könnten Containerlösungen für Schüttgüter und der kombinierte Ladungsverkehr hier Abhilfe schaffen, da man die bestehende Infrastruktur des Containerumschlags mitbenutzen könnte. Praktisch funktioniert das leider nicht, da es aufgrund des enormen Gewichts von Schüttgut so gut wie keine Containerlösung gibt, mit der Kohle, Erze und Koks, Sand, Kies, Abraum und Schotter oder Düngemittel transportiert werden können.
Flexible Fördertechnik statt teure Schüttbunker
In der Regel werden Schüttgüter deshalb nach wie vor auf der Schiene mit Selbstentladewaggons transportiert. Die Entladung erfolgt über die rechts- bzw. linksseitig im Waggonboden angebrachten Öffnungen zumeist schlagartig in stationäre Tiefbunker an entsprechend ausgerüsteten, größeren Umschlagplätzen. Im Anschluss wird das Material über sogenannte Sümpfe mit angeschlossener Fördertechnik an seinen Bestimmungsort weitertransportiert. Da Schüttgut weder mithilfe von Kränen oder Staplern bewegt und es auch nicht einfach am Gleisbett ausgeschüttet werden kann, sind insbesondere für kleinere Umschlagplätze innovative Förderlösungen für einen kombinierten Ladungsverkehr gefragt, die so flexibel wie Containerstapler sind. Tatsächlich gibt es diese Lösungen bereits und die Anbieter solcher Fördertechnik bieten ein Portfolio mit unterschiedlichsten Auslegungen für die individuellen örtlichen Gegebenheiten und Anforderungen. Verfügbar sind stationäre Anlagen ohne Schüttgutbunker (Bild 1), fahrbare Förderer mit geländegängigen Rädern – wie man sie auch von Containerstaplern kennt (Bild 2) – oder alternativ mit Raupenfahrgestellen (Bild 3), sowie Förderer, die sich über eine eigene Schiene sehr einfach parallel zu den Waggons verfahren lassen (Bild 4). Hinzu kommen straßenzugelassene Lkw (Bild 5) und Anhänger (Bild 6), die mit integrierten Förderbändern zur Waggonentladung an jedem anfahrbahren Gleisabschnitt einsetzbar sind – vergleichbar wie Lkw mit Containerladekran.
Kostengünstige Lösung zur Erschließung der vorhandenen Infrastruktur
Das Funktionsprinzip solcher Förderer ist denkbar einfach: Das Förderband kann leicht unter die Auslaufrutschen der Schüttgutwaggons gefahren werden. Hat der Waggon regelbare Auslaufrutschen, kann direkt über diese Förderbänder entladen werden und ein Schüttgutbunker wird nicht mehr benötigt. Die Kosten für die Schaffung von Schüttgutumschlagplätzen reduzieren sich damit pro Entladestation auf Anschaffung und Betrieb des Förderers. Dieser kann – abgesehen von den stationär installierten Entladungsstationen – flexibel überall hin verbracht werden. Wenn der Förderer für die Straße zugelassen ist, entfällt sogar ein zusätzliches Transportfahrzeug. Die Schüttgut-Auslieferung nach der Entladung zum Bestimmungsort erfolgt durch eine Lkw-Flotte – ebenso wie es beim kombinierten Ladungsverkehr oder bei ausschließlicher Nutzung der Straße auch der Fall ist. Mithilfe der Schüttbunker-unabhängigen Waggonentladetechnik kann jeder Containerumschlagplatz kostengünstig und schnell zu einem Schüttgutumschlagplatz erweitert werden. Und mit den straßenzugelassen Förderfahrzeugen kann das Entladenetz sogar noch um ein Vielfaches ausgebaut und die letzte Meile zum Endkunden erheblich verkürzt werden, denn damit wird jeder einzelne Gleisabschnitt nutzbar, den ein solches Fahrzeug anfahren kann.
Autor: Hubert Siemer, APULLMA Maschinenfabrik,
Quellen
[1] https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/verkehrsverflechtungsprognose-2030.html, abgerufen am 25.02.2022.
[3] https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/infrastruktur/schienennetz/
[5] https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/infrastruktur/bahnhoefe
[6] https://dms.vdv.de/sites/GV-KOOP/Seiten/Umschlagwaggonverkehre.aspx [7] https://www.gesetze-im-internet.de/stvzo_2012/__34.html